Helgoland bekommt eine neue alte Sehenswürdigkeit. Offiziell am 7. Dezember, aber wegen noch ausstehender letzter Arbeiten faktisch erst Anfang 2023 öffnet ein alter Bunkerstollen auf der Nordseeinsel als Geschichtsprojekt. Ursprünglich sollte er bereits seit dem Sommer zugänglich sein, doch ließ sich das nicht einhalten. Die Ausstellung im Tunnel solle Besuchern vom Schicksal der Insel und ihrer Bewohner erzählen, sagte der Leiter des Museums Helgoland, Jörg Andres. Die Kosten lagen bei rund 3,5 Millionen Euro.
Der Stollen war im Zweiten Weltkrieg innerhalb von zwei Jahren in den Fels getrieben worden. Eigentlich handelte es sich um einen Verbindungsgang, erklärt Andres: „In diesen konnten die Leute im Unterland hinein flüchten und dann unterirdisch zu ihren Bunkerplätzen im Oberland gelangen.“
Der Eingang befindet sich mitten im Ort, am Fahrstuhl, der das sogenannte Unterland mit dem Oberland verbindet. Besucher werden selbstständig durch den Stollen gehen können und an Hörstationen, Bildern oder Tafeln sowie durch originale Exponate Informationen erhalten. Fassaden-Reste, altes Besteck und das Modell eines U-Bootes symbolisieren die bewegte Geschichte der Insel.
Die mitten in der Deutschen Bucht gelegene Felsinsel gehört erst seit 1890 zu Deutschland; vorher war sie unter anderem in dänischem und britischem Besitz gewesen. Entgegen einem oft zu lesenden Missverständnis wurde Helgoland nicht gegen Sansibar getauscht; vielmehr ging es im Vertrag vom 1. Juli 1890 um einen komplizierten Interessenaustausch Deutschlands und des British Empire, dabei spielten verschiedene Kolonien in Afrika die Hauptrolle.
Strategisch günstig rund 50 Kilometer vor der Elbmündung gelegen, hätte ein Stützpunkt der Royal Navy auf Helgoland eine deutsche Kriegsflotte sehr stark beeinträchtigen können. Umgekehrt war ein vorgeschobener Stützpunkt auf der Insel für die deutsche Marine bedeutsam. Daher ließ Kaiser Wilhelm II. die Insel sofort zu einem Marinestützpunkt ausbauen. Im Ersten Weltkrieg fanden 1914 und 1917 zwei der eher seltenen Seegefechte zwischen britischen und deutschen Schiffen vor Helgoland statt.
Laut dem Versailler Vertrag war Deutschland verpflichtet, Helgolands Befestigungen zu schleifen. Doch das geschah nur oberflächlich, so dass es ab 1934 genügend Ansatzpunkte gab, die Insel erneut zu einem Marinestützpunkt auszubauen. Weil aus dem Krieg 1914 bis 1918 klar war, dass solche festen Ziele besonders gefährdet für gegnerische Angriffe sein würden, sei es nun durch Schlachtschiffe oder aus der Luft, entstanden auch Schutzräume für die Bevölkerung auf der Insel. Außerdem wurde ein riesiger U-Boot-Bunker errichtet, in dem bis zu sechs Boote gleichzeitig Schutz finden konnten.
Am Mittag des 18. April 1945 griffen gleich 969 Flugzeuge des RAF Bomber Command Helgoland an – 617 viermotorige Avro Lancasters, dazu 332 vom etwas älteren Typ Handley Page Halifax sowie 20 Markierer des Musters DeHavilland Mosquito. Ziel der Großoperation waren der Marinestützpunkt, der Flugplatz sowie die Wohngebiete. Der Angriff gelang präzise; das Zielgebiet wurde in kraterartige Mondlandschaften verwandelt. Gegenwehr gab es kaum mehr, nur drei Halifax-Maschinen gingen verloren.
Der Angriff hatte ein klares Ziel: Helgoland sollte als möglicher Rückzugsort deutscher Truppen ausgeschaltet werden. Denn der Vormarsch der britischen Armee im Nordwesten Deutschlands hatte die Wehrmacht auf einen schmalen Streifen vom niederländischen Friesland bis nach Hamburg zusammengedrängt. Es wäre eine durchaus denkbare Ausweichmöglichkeit gewesen, so viele Truppen, Waffen und Versorgung wie möglich auf die Felseninsel zu verlegen, die durch eine Invasion kaum zu erobern war. Tatsächlich aber gab es derartige Pläne nicht wirklich.
Im Gegenteil evakuierte die Kriegsmarine am Tag nach dem Angriff die überlebenden Zivilisten; trotz bombensicherer Stollen und Bunker waren 285 Menschen ums Leben gekommen, überwiegend Soldaten, aber auch zwölf Nichtkombattanten. Die restlichen Soldaten blieben auf der verwüsteten Insel. Erst am 11. Mai 1945, eine Woche nach Inkrafttreten der Kapitulation aller deutschen Truppen in Nordwestdeutschland und drei Tage nach der Gesamtkapitulation der Wehrmacht, kamen britische Truppen nach Helgoland und besetzten die Insel.
Knapp zwei Jahre später, am Mittag des 18. April 1947 um 13 Uhr, zündeten britische Pioniere von dem Kabel-Verleger HMS „Lasso“ aus etwa 6700 Tonnen Beutemunition, die auf der gesamten Inseln, in Bunkern und Stollen verteilt worden war. Die Explosion setzte so viel Energie frei wie 3,2 Kilotonnen TNT – es war die bis dahin größte nicht-nukleare menschgemachte Explosion der Weltgeschichte.
Trotz riesiger Schäden überstand Helgoland auch diese Detonation. 1952 wurde die Insel an die Bundesrepublik Deutschland zurückgegeben; seither gehört sie zu Schleswig-Holstein und lebt vorwiegend vom Tourismus. Ende 2021 hatte die Insel knapp 1300 gemeldete Einwohner. In Schleswig-Holstein steht Helgoland unter allen Gemeinden gemessen an der Steuereinnahmekraft an zweiter Stelle – eine Folge des starken Fremdenverkehrs. Der durch den nun wieder hergestellten Stollen noch etwas gesteigert werden soll.
Sie finden „Weltgeschichte“ auch auf Facebook. Wir freuen uns über ein Like.